Selbstmordgedanken und Neuroinflammation

Freitag 19-Januar-2018

In einer Reihe neuerer Studien zu Hirnerkrankungen werden zunehmend Entzündungsreaktionen von Nervenzellen als mögliche Ursachen identifiziert. Seit kurzem wird sogar vermutet, dass Neuroinflammation bei depressiven Menschen mit Selbstmordgedanken eine Rolle spielen könnte.

 

In einer ganzen Reihe von Studien zu Hirnerkrankungen werden zunehmend Entzündungsreaktionen von Nervenzellen als mögliche Ursachen identifiziert. Häufige neurologische Störungen wie Alzheimer, Parkinson, Multiple Sklerose, Zwangsstörungen und depressive Störungen werden zunehmend mit Neuroinflammationen in Zusammenhang gebracht (Meraz-Rios 2013, Tansey 2012, Madelyn 2017, Attwells 2017). Schlimmer noch: Es liegen sogar Hinweise darauf vor, dass bei Patienten mit klinischer Depression oder bipolarer Störung die Neuroinflammation eine Rolle bei der Erwägung des Suizids spielt (Holmes 2017, Brundin 2015).

 

Mechanismus der Neuroinflammation

In einer nordamerikanischen klinischen Übersichtsstudie wurden in den letzten zehn Jahren anhand von Literaturrecherchen Daten gesammelt, die zeigen, dass systemische Entzündungsprozesse indirekt zum Selbstmord beitragen. Was könnte der dahinterliegende Wirkmechanismus sein?

 

Es sieht so aus, als ob die Auswirkungen von Entzündungen auf Stimmung und Verhalten teilweise über entzündungsfördernde Substanzen wie zum Beispiel die Cytokine Interleukin-6, Interleukin-1-beta und Tumor-Nekrose-Faktor-alpha angestoßen werden. Auch können bestimmte Stoffwechselprodukte wie zum Beispiel Chinolinsäure zur Neuroinflammation beitragen. Bei Patienten mit Neigung zum suizidalen Verhalten scheinen proinflammatorische Substanzen im Blutplasma, in der Gehirn- und Rückenmarksflüssigkeit und in bestimmten Hirnarealen in höherer Konzentration vorzuliegen als bei Patienten, die keine Selbstmordtendenzen zeigen (Brundin 2015). Weiterhin wird deutlich, dass entzündungsfördernde Substanzen die Übertragung von Neurotransmittern (Botenstoffe) einschließlich Glutamat im Gehirn beeinflussen und somit Auswirkungen auf Emotionen, Stimmung und Verhalten hervorbringen können.

 

Gestörte Darm-Mikrobiom-Hirn-Achse

Eine kürzlich in Parkinson’s Disease, einem im Umkreis der renommierten Fachzeitschrift Nature erscheinenden Periodikum, veröffentlichte Übersichtsstudie gelangt zur Ansicht, dass eine gestörte Darm-Mikrobiom-Hirn-Achse möglicherweise die Grundlage der Entstehung der Parkinson-Krankheit bilden könnte. Anfänglich treten dabei Entzündungen in einer ungünstigen Darmumgebung als Folge eines gestörten mikrobiellen Wachstums oder einer erhöhten Permeabilität der Darmwand auf. Über einen schrittweisen Prozess wandern die entzündungsfördernden Substanzen dann bis zum Hirnstamm. Daraufhin beginnen dort dopaminbildende Nervenzellen, Schäden anzurichten und Immunzellen wie zum Beispiel Mikroglia zu stimulieren, wodurch weitere reaktive Schadstoffe (freie Radikale) freigesetzt werden (reaktive Sauerstoffspezies; ROS) (Madelyn 2017).

 

Klinische Depressionen

Eine weitere Studie an 14 Patienten mit klinischen Depressionen hat gezeigt, dass Entzündungen und die damit verbundene Aktivierung von Immunzellen in bestimmten Hirnstrukturen zu Selbstmordgedanken beitragen. Hierbei wurden mithilfe eines PET-Scans Translokatorproteinmessungen (TPSO) in Mikroglia im Cortex anterior cingularis und im präfrontalen Cortex durchgeführt. TPSO ist ein Indikator für Neuroinflammation. Dabei zeigte sich, dass die TPSO-Werte bei Patienten mit Suizidgedanken signifikant höher lagen als bei Menschen ohne solche Gedanken. Die Forscher plädieren daher für weitergehende Forschung zu entzündungshemmenden Therapien bei der Behandlung klinischer Depressionen (Holmes 2017).

 

Literatur

 Holmes SE, Hinz R, Conen S, Gregory CJ, Matthews JC, Anton-Rodriguez JM, Gerhard A, Talbot PS. Elevated Translocator Protein in Anterior Cingulate in Major Depression and a Role for Inflammation in Suicidal Thinking: A Positron Emission Tomography Study. Biol Psychiatry. 2018 Jan 1;83(1):61-69. doi: 10.1016/j.biopsych.2017.08.005. Epub 2017 Aug 12. PubMed PMID: 28939116.

 

Houser MC, Tansey MG. The gut-brain axis: is intestinal inflammation a silent driver of Parkinson\'s disease pathogenesis? NPJ Parkinsons Dis. 2017 Jan 11;3:3. doi: 10.1038/s41531-016-0002-0. eCollection 2017. PubMed PMID: 28649603; PubMed Central PMCID: PMC5445611.

 

http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/acps.12458/full

Brundin L, Erhardt S, Bryleva EY, Achtyes ED, Postolache TT. The role of inflammation in suicidal behaviour. Acta Psychiatr Scand. 2015

Sep;132(3):192-203. doi: 10.1111/acps.12458. Review. PubMed PMID: 26256862; PubMed Central PMCID: PMC4531386.

Meraz-Rios, Marco (August 2013). "Inflammatory process in Alzheimer\'s Disease". Frontiers in Integrative Neuroscience. 7.

 

Tansey, Malu (May 2012). "Neuroinflammation and Non-motor Symptoms: The Dark Passenger of Parkinson\'s Disease?". Curr Neurol Neurosci Rep. 12: 350–358

 

Tansey, Malu; Tamy C Frank-Cannon (November 2009). "Does neuroinflammation fan the flame in neurodegenerative diseases?". Molecular Neurodegeneration. 4: 47.

 

Madelyn C. Houser & Malú G. Tansey, The gut-brain axis: is intestinal inflammation a silent driver of Parkinson’s disease pathogenesis? Nature PJ Parkinson\'s Disease 3, Article number: 3 (2017)

 

Sophia Attwells, HBSc; Elaine Setiawan, PhD; Alan A. Wilson, PhD; et al., Inflammation in the Neurocircuitry of Obsessive-Compulsive Disorder, JAMA Psychiatry. 2017;74(8):833-840.

 

McKay D, Sookman D, Neziroglu F, Wilhelm S, Stein DJ, Kyrios M, Matthews K, Veale D, Efficacy of cognitive-behavioral therapy for obsessive-compulsive disorder, Psychiatry Res. 2015 Feb 28;225(3):236-46.