Wir alle wissen nur zu gut, was mit der sprichwörtlichen „Regelmäßigkeit eines Uhrwerks“ gemeint ist. Mit ihrem Tag für Tag gleichbleibenden 24-Stunden-Rhythmus beherrscht die Uhr unser Leben. Essen, Trinken, Arbeit, Sport, Entspannung und Schlaf: Alles geschieht zu festgelegten Zeiten, meistens nach dem immer gleichen Tagesablauf. Aber ist es wirklich so gesund, dass sich der Alltag immer nach festen Regeln und Zeiten richtet? Wie regelmäßig war unser Leben vor 10.000 Jahren und wie wirkt sich das (noch heute) auf unseren Biorhythmus aus?
Der menschliche Biorhythmus wird durch den Nucleus suprachiasmaticus (SupraChiasmatic Nucleus, SCN), der biologischen Uhr des menschlichen Gehirns, gesteuert. Unter dem Einfluss von Veränderungen der Lichtintensität (Sonnenlicht und Dunkelheit) reguliert er eine Vielzahl von neuroendokrinologischen Funktionen. So gut wie alle Neurotransmitter und Hormone werden nach bestimmten Rhythmen gebildet, die von im SCN lokalisierten Bio-Oszillatoren (Rhythmusregler) gesteuert werden. So gibt es Biorhythmen für die Bildung und Aktivität von Cortisol, Katecholaminen, Renin, Angiotensin, Aldosteron und Serotonin. Der SCN fungiert letztlich als Schrittmacher für den gesamten Körper. Hypothalamisch gesteuerte Funktionen sorgen für die Synchronisierung der Bio-Oszillatoren in peripheren Organen und somit für die Aufrechterhaltung der Gesundheit durch optimale Energieverteilung.
Die verschiedenen Biorhythmen werden durch eine Vielzahl von Faktoren beeinflusst. Dazu zählen neben Sonnenlicht und Dunkelheit auch emotionaler Stress, Klima, Schlaf und Bewegung. Der SCN kommuniziert über direkte neuronale Verbindungen mit wichtigen Organen wie Epiphyse, Hypothalamus und Neocortex in beiden Hirnhemisphären. Serotonin aus den Nuclei raphes „reguliert“ den SCN auf emotionaler Ebene. Noradrenalin aus dem Locus caeruleus übt eine direkte regulatorische und/oder störende Wirkung auf den SCN aus. Die Retina-SCN-Verbindung, bei der das Tageslicht eine entscheidende Rolle spielt, sorgt über den Retino-Hypothalamus-Trakt (RHT) für den optimalen Biorhythmus.
Der SCN gehört zu den periventrikulären Organen. Diese Organe zeichnen sich durch das Fehlen einer Blut-Hirn-Schranke aus und werden somit durch biochemische Substanzen im Blutkreislauf sofort (innerhalb von 2-4 Minuten) über Veränderungen in der Peripherie informiert. Daher reagiert auch der SCN reagiert schnell auf jede Veränderung.
Ein Beispiel für pathologische periphere Beeinflussungen des Biorhythmus betrifft Menschen mit einem Mangel des Enzyms Dipeptidylpeptidase. Ein Mangel dieses Enzyms, das von Zellen im Darm unter dem Einfluss physiologischer Bakterienkolonien gebildet wird, führt zu Störungen bei der Umwandlung von Casein (Milchprotein) und Gluten (Getreideprotein). Dies hat die Bildung von Beta-Casomorphin 9 und Gliadinomorphin 7 zur Folge. Dringen diese Substanzen durch die Darmwand in den Blutkreislauf ein, führt dies beim Betroffenen innerhalb von zwei bis vier Minuten zum Nachlassen der Konzentration, da der SCN durch diese Substanzen zum Umschalten in den Einschlafmodus angeregt wird.
Der normale, evolutionär entstandene Biorhythmus (hell/dunkel) aktiviert bestimmte Uhrengene und Rhythmusregler im Hypothalamus und damit in allen Organen des menschlichen Körpers. Eines der am weitesten verbreiteten universellen Paradigmen in Bezug auf die Erhaltung der Gesundheit hat mit Regelmäßigkeit zu tun. Man soll regelmäßig essen, schlafen, trinken, ruhen etc. Wenn Regelmäßigkeit ohne Berücksichtigung des normalen Biorhythmus (Essen bei Hunger, Trinken bei Durst, Schlafen bei Dunkelheit) vorherrscht, aktiviert sich im Hypothalamus der sogenannte Food Entrained Oscillator (FEO). Der FEO wird normalerweise durch den SCN gehemmt, sodass die Nahrungsaufnahme durch das Hungergefühl und nicht durch Regelmäßigkeit gesteuert wird. Wenn jedoch die Signale des SCN ignoriert werden und stattdessen beim Essen, Trinken, Sport und Schlafen eine starre Regelmäßigkeit vorherrscht, hat dies Folgen für die Oszillation in peripheren Organen. Regelmäßigkeit zwingt dem Hypothalamus anstelle eines natürlichen SCN-Rhythmus einen FEO-Rhythmus auf, wodurch sowohl zentral als auch peripher ein veränderter Rhythmus wirksam wird. Die innere Uhr wird sozusagen auf eine andere Zeitzone umgestellt.
Wichtige periphere Organe mit Uhrengenen (biorhythmischen Oszillatoren) sind Bauchspeicheldrüse, Muskeln und Fettgewebe. Die Bildung von Substanzen wie Insulin, Leptin und Interleukin 6 durch diese Organe verläuft rhythmisch, wobei sowohl die spontane Aktivierung als auch die zentrale Regulation eine Rolle spielen. Wird nun dieser natürliche Rhythmus dadurch gestört, dass die zentrale Regulation durch den FEO in einen regelmäßigen Rhythmus gezwungen wird, hat dies zur Folge, dass Störungen des homöostatischen Gleichgewichts nicht mehr ausreguliert werden und sogar überhaupt erst entstehen können. Eine Störung des natürlichen Rhythmus durch den FEO kann schwerwiegende Beeinträchtigungen im Bereich der Energieverteilung hervorrufen, die zu Krankheiten führen können. Leben im starren Rhythmus mit Mahlzeiten, Zwischenmahlzeiten und Aktivitäten zu festgelegten Zeiten anstelle eines Lebens, das den tatsächlichen Bedürfnissen folgt, ist eine der Hauptursachen für Störungen des Biorhythmus. Die Lösung hierfür besteht im intermittierenden Leben: intermittierendes Fasten, intermittierendes Essen, intermittierendes Trinken, intermittierende sportliche Betätigung. Das Einzige, das nicht intermittierend, sondern mit steter Regelmäßigkeit im Rhythmus von Licht und Dunkelheit geschehen sollte, ist Schlafen. Die Erklärung hierfür findet sich in der Evolution: Während die Aktivitäten des Tages von der Anwesenheit oder Abwesenheit von beispielsweise Nahrung und Gefahr abhingen und dementsprechend variierten und von Hunger- oder Fluchtimpulsen gesteuert wurden, war Schlaf durch das Fehlen von künstlichem Licht ganz schlicht und einfach an den natürlichen Wechsel von Dunkelheit und Licht gebunden.
Jüngste Forschungen haben gezeigt, dass im Gegensatz zu dem was lange gedacht wurde, Chronotypen (Morgen und Abend Menschen) in der westlichen Gesellschaft nicht mehr existieren. Aufgrund der Abwesenheit von Gefahr in westlichen Gesellschaften (wir schlafen in der Regel in unserem warmen Bett), ist die notwendige Wachheit und Wachsamkeit, im Gegensatz zu natürlichen Völkern nicht mehr vorhanden. In westlichen Gesellschaften sind Abendleute Abendmenschen, weil sie sich am Abend mehr blauem Licht aussetzen, wodurch die Melatoninproduktion gehemmt wird, sie länger wach bleiben und später ins Bett gehen.Tagmenschen sind Tagmenschen, weil sie schon früher am Abend das Licht dämpfen, sodass die Melatoninbildung früher einsetzt, wodurch sie früher müde werden und früher ins Bett gehen. Untersuchungen zeigen, dass sich der Biorhythmus bei Menschen, die – zum Beispiel beim Zelten in der Natur – ganz auf künstliches Licht verzichten, bereits nach 48 Stunden wieder mit dem natürlichen Lichtzyklus synchronisiert hat. Dies entspricht genau den Erfahrungen, die Dr. Leo Pruimboom, wissenschaftlicher Leiter der Natura Foundation und Mitbegründer der klinischen PNI, bei seinen Pyrenäenaufenthalten, die die Grundlage seiner Study of Origin aus dem Jahre 2016 bildeten, sammeln konnte.
Die Kritik an der Regelmäßigkeit betrifft dabei natürlich nicht nur den Alltag, sondern auch die Eintönigkeit unserer Ernährung und beim Sport. Wie viele unterschiedliche Nahrungsmittel umfasst der Speisezettel ihrer Klienten? Wie viel Abwechslung gibt es bei ihren sportlichen Aktivitäten (wenn sie denn überhaupt Sport treiben)? Das erlösende Zauberwort? Variation! Abwechslung! Intermittierendes Leben! Nehmen Sie sich selbst und ihren Klienten zuliebe zu Herzen, dass die Regelmäßigkeit des Uhrwerks nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann: Schon ein bisschen mehr Abwechslung im Alltag kann wahre Wunder bewirken!
Literatur
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