Der orthomolekulare Ansatz bei Müdigkeit

Sonntag 27-Mai-2018

Müdigkeit ist eine Beschwerde, die einem in der orthomolekularen Praxis oft begegnet. Es ist jedoch nicht zu empfehlen, dieses Symptom isoliert zu behandeln. Viel besser ist es, zuerst tiefer bis zur Ursache vordringen. Woher kommt die Müdigkeit und was können wir tun, damit die Energie beim Klienten wieder frei fließen kann?

 

Energie aus der Nahrung

Die Makromoleküle Kohlenhydrate, Proteine und Fette sind unsere Nahrungsquellen. Ein Gramm Kohlenhydrate liefert 4 kcal, Fett 9 kcal und Protein 4 kcal. Sie werden in unserem Körper mithilfe von Sauerstoff verbrannt.

Extramitochondrial findet ein anaerober Prozess statt, die Glykolyse. Bei dieser Art des Abbaus von Glucose wird wenig Energie freisetzt. Es entstehen Pyruvat und NADH. Pyruvat wird oxidiert und dient somit als Energiequelle für die intramitochondriale Verbrennung mit Sauerstoff.

 

Adenosindiphosphat wird in Adenosintriphosphat umgewandelt: Ein Nucleotid, das bei vielen enzymatischen Reaktionen im Körper als Cofaktor fungiert und in der Zelle bei energetischen Prozessen verbraucht wird. Die Effizienz der aeroben Umwandlung ist 13-mal höher als die der anaeroben Umwandlung und bei der anaeroben Umwandlung entsteht zudem als Nebenprodukt Milchsäure.

 

B-Vitamine, Magnesium, Zink und Eisen dienen als wichtige Nährstoffe für den in den Mitochondrien ablaufenden Prozess. Das Coenzym Q10 wird benötigt, um Energie in der Bindung zwischen den Phosphaten von ATP zu speichern. Wenn Energie benötigt wird, wird die Bindung zwischen den äußeren Phosphaten gelöst, wobei gespeicherte Energie freigesetzt wird. So entsteht ADP.

 

Um ADP wieder in ATP zurückzuverwandeln, wird Creatinphosphat benötigt. Bei der Regeneration von Adenosintriphosphat werden 2 Moleküle Adenosindiphosphat kombiniert. Das verbleibende Molekül heißt Adenosinmonophosphat. Dieses wird mit Ammoniak (hirntoxisch) und Harnsäure (Gicht, Rheuma) in Zusammenhang gebracht.

 

Früher war alles besser

Nein, es war nicht alles besser, aber wir waren fitter. Die Aufnahme von Makronährstoffen unterschied sich vollkommen von der heutigen. Jäger und Sammler konsumierten keine Nahrung, die zur Hälfte aus Kohlenhydraten bestand, heute wird dies jedoch empfohlen. Dieser Rat wird nur allzu gut befolgt, denn 60-75 % unserer gesamten Kalorienzufuhr stammen aus Kohlenhydraten. Das geschieht hauptsächlich auf Kosten der Proteine. Hinzu kommt noch, dass die Kohlenhydrate oft raffiniert sind und somit leere Kalorien ohne Nährstoffe darstellen. Wir nehmen schlechte Kohlenhydrate aus Brot, Reis, Nudeln und Zucker statt guter Kohlenhydrate aus Obst und Gemüse zu uns.

 

Müdigkeit und übermäßiger Verzehr raffinierter Nahrungsmittel

Warum machen raffinierte Kohlenhydrate eigentlich müde? Wenn wir zu viele raffinierte Kohlenhydrate zu uns nehmen, steigt der Blutzuckerspiegel sehr schnell an. Dadurch nimmt auch die Insulinbildung erheblich zu, was zu einer Hyperinsulinämie führt. Es erfolgt eine Gegenreaktion, bei der der Blutzucker wieder stark sinkt. Jetzt ist plötzlich nicht mehr genügend Glucose im Blut vorhanden, um die Zellen und Organe mit Energie zu versorgen. Dadurch wird ihr Klient müde und hungrig und verspürt einen erhöhter Verlangen nach Zucker. Wenn daraufhin Zucker konsumiert wird, steigt das Energieniveau vorübergehend wieder an, aber bald wird erneut eine Hyperinsulinämie auftreten. So entsteht ein Teufelskreis.

 

Wenn dies über einen längeren Zeitraum anhält, kommt es zur Zuckersucht. Langfristig kann das zu einer Insulinresistenz führen: Die Kohlenhydrate gelangen nicht mehr in die Zellen und bleiben zu lange im Blut, wonach sie als Fett gespeichert werden. Die Müdigkeit wird chronisch, Essen verschafft nur kurzzeitig Abhilfe und die Probleme beginnen nach kurzer Zeit wieder von vorne. Um diesen Kreis zu durchbrechen, ist es von größter Wichtigkeit, anders zu essen (weniger raffinierte Kohlenhydrate und mehr Obst und Gemüse) und sich mehr zu bewegen.

 

Low-grade-Entzündung

Bei chronischem Glucosemangel entsteht noch ein weiteres, immunologisches Problem. Der Mangel führt dazu, dass das Gehirn Alarm auslöst, was zu einer Aktivierung der Stressachsen führt. Adrenalin, Cortisol und Glucagon werden ausgeschüttet und regen die Bildung von Glucose aus Aminosäuren an. Dabei werden BCAA abgebaut, obwohl sie für das Muskelgewebe und für die Immunglobuline IgA, IgM und IgG wichtig sind. Das Immunsystem wird auf der ganzen Linie geschwächt.

 

Das Immunsystem fängt bei den körperlichen Barrieren an: Haut, Magen-Darm-Trakt, Lunge, Nase und Augen sind in der Lage, Krankheitserreger selbst abzuwehren. Erst, wenn dennoch ein Erreger eindringt, wird in einer ersten Stufe das angeborene Immunsystem aktiviert. Danach wird auch das erworbene Immunsystem aktiviert. Bei einem durchlässigen Darm ist diese physische Barriere durchbrochen. Dies verursacht die Aktivierung des Immunsystems und damit eine Low-grade-Entzündung. Ein aktiviertes Immunsystem kostet enorm viel Energie; ein Grad Fieber kostet zum Beispiel ca. 250 kcal pro Tag.

 

Ein Kennzeichen von Low-grade-Entzündungen ist übermäßige Müdigkeit. Bewegung und soziale Kontakte werden vermieden, die Libido ist verringert, der Appetit gestört und es liegt eine erhöhte Schmerzempfindlichkeit vor. Außerdem kann sich die Körperzusammensetzung ändern: Muskelatrophie und erhöhte Fettspeicherung sind häufig zu beobachten. Aber die Behandlung einer Low-grade-Entzündung ist relativ einfach, solange Ihr Klient noch die dazu erforderliche Energie aufbringen kann. Eine gesunde Darmfunktion, die mit L-Glutamin, Pre- und Probiotika in Gang gebracht werden kann, sorgt in Kombination mit ausreichender Bewegung im Freien für eine wesentlich bessere Funktion des Immunsystems.

 

Stress

Stressoren sorgen dafür, dass der Kampf-Flucht-Mechanismus (Sympathikus) aktiviert wird. Der Körper bildet Noradrenalin. Die Verdauung wird stillgelegt, da sie in Stresssituationen keine Priorität hat. Der Leber wird Glycogen für die Energiegewinnung entzogen. Dysregulation von NF-kB, COX 1,2 und TNFa tritt auf, mit Entzündungsgefahr als Folge. Überdies führt Stress zur Bildung von Adrenalin, das die (unerwünschte) anaerobe Kohlenhydratverbrennung steigert.

 

Die Aktivierung der HPA-Achse ist eine langsamere Antwort auf Stressoren. Cortisol wird als Reaktion auf Noradrenalin gebildet. Es reguliert die oben erwähnte Reaktion und wirkt als entzündungshemmendes Mittel. Wenn die Stressoren jedoch über einen längeren Zeitraum hin fortbestehen, sinkt der Cortisolspiegel aufgrund von Erschöpfung der Nebennieren.

 

Energiemangel führt zu Müdigkeit, die selbst nach längerem Schlafen fortbesteht, und zu Lethargie. Paradoxerweise können sogar Schlafprobleme auftreten. In solchen Fällen empfiehlt sich die Verabreichung von höheren Dosen von Magnesium, einem wichtigen Cofaktor bei der Bildung von ATP. Das liefert das gewisse Extra an Energie, um wieder etwas besser zur Ruhe zu kommen.

 

Behandlung

Das richtige Verhältnis zwischen Belastung und Belastbarkeit muss wiederhergestellt werden.

Wenn man nur wenig Muskelgewebe besitzt, sind die Mitochondrien weniger aktiv. Das hat natürlich Konsequenzen für die Energieerzeugung. Ausreichende körperliche Aktivität ist wichtig für eine gute Funktion der Mitochondrien.

 

Außerdem gibt es bestimmte Bestandteile der Nahrung, die für ein gutes Funktionieren der Mitochondrien unerlässlich sind. Insbesondere werden B-Vitamine, Magnesium, Zink, Eisen, Creatinphosphat, Coenzym Q10 und L-Carnitin benötigt. Vitamin K sorgt nicht nur für starke Knochen und elastische Blutgefäße. Studien haben gezeigt, dass es auch die Insulinsensitivität verbessert. Gute Ernährung ist daher wichtig, um Müdigkeit entgegenzuwirken. Die Vermeidung von raffinierten Kohlenhydraten ist hierbei, wie oben beschrieben, besonders wichtig.

 

Außerdem kann die Belastbarkeit durch entspanntes Bewegen, Musik hören, mehr geistige Aktivitäten und Schlafen erhöht werden. Musik kann zur Regeneration und einem Gefühl der Entspannung und Inspiration beitragen, während im Schlaf das glymphatische System (buchstäblich) den Kopf von Abfallstoffen befreit.

 

Bei übermäßiger Müdigkeit ist es wichtig, stets im Hinterkopf zu behalten, dass es sich dabei um ein Symptom handelt. Sie sollten jedoch nicht nur Symptome behandeln, denn damit erreichen Sie oft nur das Gegenteil. Stattdessen müssen Sie die Ursachen des Problems identifizieren und genau dort mit Ihrer Behandlung ansetzen.