Chronische Schmerzen sind ein weltweites Gesundheitsproblem: Es wird geschätzt, dass mehr als 1,5 Milliarden Menschen (darunter mehr als 2 Millionen Niederländer) mit chronischen Schmerzen leben. Die Kosten der medizinische Behandlung und des Produktivitätsverlusts (krankheitsbedingte Fehlzeiten) sind gigantisch. Wo akuter Schmerz eine deutliche evolutionäre Funktion hat, sind chronische Schmerzen ein Beispiel für einen über sein Ziel hinausgeschossenen Wirkmechanismus, der längst nicht mehr seinen Zweck erfüllt. Warum haben Ihre Klienten chronische Schmerzen und, was noch interessanter ist, wie werden sie sie wieder los?
Evolutionärer Hintergrund
Die evolutionäre Funktion des Schmerzes ist es, das Gehirn über das Vorliegen eines schmerzerzeugenden Stimulus zu informieren, den Körper vor weiteren Verletzungen zu schützen und die Genesung sicherzustellen. Schmerz stellt sicher, dass der Flucht, dem Schutz des betroffenen Bereichs und der Wundheilung Vorrang eingeräumt wird. Die Fähigkeit, Schmerzen zu empfinden, hat einen hohen Überlebenswert: Menschen, die keinen Schmerz wahrnehmen können, sterben oft bereits in der Kindheit, weil sie Verletzungen und Krankheiten nicht bemerken.
Wirkmechanismus
Schmerzhafte Reize (zum Beispiel mechanischer, thermischer oder chemischer Art) werden zunächst in neuronale Signale umgewandelt, die von der peripheren (bedrohlichen) „Wunde“ über eine Reihe von peripheren nozizeptiven sensorischen Neuronen (primäre afferente Neuronen erster Ordnung) an das zentrale Nervensystem gesendet werden. Anschließend wird das nozizeptive Signal an zentrale Synapsen weitergeleitet, indem verschiedene Neurotransmitter freigesetzt werden, die zentrale nozizeptive Neuronen (nozizeptive Projektionsneuronen zweiter Ordnung) im Hinterhorn des Rückenmarks oder Hinterhirn stimulieren können. Diese zentralen Neuronen können Signale an Bereiche oberhalb der Wirbelsäule und von dort über Neuronen dritter Ordnung an kortikale und subkortikale Bereiche weiterleiten, die die Codierung und Wahrnehmung mehrdimensionaler Schmerzerfahrungen ermöglichen. Die nozizeptiven Projektionsneuronen zweiter Ordnung können durch die Aktivierung von serotonergen und noradrenergen Wechselwirkungen mit dem Rückenmark beeinflusst werden, was sich wiederum auf die Reaktion auf und Wahrnehmung von Schmerzen auswirken kann.
Neuropathische Schmerzen
Schmerz kann über die nützliche Schutzwirkung bei akuten Verletzungen hinaus fortbestehen und über Wochen bis Jahre andauern – auch wenn die Erstverletzung längst wieder beseitigt ist. Unter chronischen Schmerzen versteht man Schmerzen, die länger als drei Monate andauern und/oder die noch lange nach dem Verschwinden des Reizes, der den Schmerz ursprünglich hervorgerufen hatte, anhalten. Als Ursachen dieser Form von Schmerzen gelten einerseits Funktionsstörungen des Nervensystems infolge neuroanatomischer/neurophysiologischer Veränderungen und anderseits Aktivierungen des Immunsystems. Intensive, wiederholte und anhaltende Aktivitäten der Neuronen erster Ordnung, die bei Schmerzen auftreten, bewirken Veränderungen der neuronalen und biochemischen Verarbeitung von Schmerzreizen in zentralen Synapsen und der von diesen Synapsen ausgehenden Signale. Dadurch findet eine zentrale Sensibilisierung und Aufschaukelung dieser Signale statt und es kommt zu einem anhaltenden Schmerzzustand. Diese Prozesse beinhalten die Phosphorylierung einer Reihe von Rezeptoren, einschließlich NMDA-, AMPA- und/oder Kainatrezeptoren, die die synaptische Wirksamkeit erhöhen. Aufgrund der erhöhten Wirksamkeit können niedrigschwellige Sensorfasern, die durch harmlose Reize aktiviert werden, die hochschwelligen nozizeptiven Neuronen aktivieren. Die zentrale Sensibilisierung wird durch anhaltende Reize aufrechterhalten, zum Beispiel durch spontane Aktivität von Sensorfasern oder eine lokale Immunantwort. Diese Mechanismen sind mitverantwortlich für die Persistenz und Ausbreitung neuropathischer Schmerzen, die weit über die ursprüngliche Verletzungsstelle hinausgehen. Eine weitere Ursache für neuropathische Schmerzen besteht in der zentralen Immunaktivierung: Aktivierung von Gliazellen, Endothelzellen, perivaskulären Makrophagen und Infiltration von T-Zellen. Diese zentrale Immunaktivierung beeinflusst die Neurotransmission innerhalb des zentralen Nervensystems: die Neuro-Immun-Schnittstelle
Lösung chronischer Schmerzen
Eines der größten Probleme der modernen Medizin ist die Bekämpfung chronischer Schmerzsyndrome. Normalerweise werden solche Schmerzsyndrome entweder mit Opioid- oder Nicht-Opioid-Medikamenten bekämpft, die die neuronale Aktivität beeinflussen. Abgesehen von den sonstigen Nachteilen, die mit dieser Medikation verbunden sind, wird die Immunkomponente damit nicht behandelt. Es gibt drei Bereiche, in denen neuro-immunogene Behandlungen eingesetzt werden können:
1. direkte Beeinflussung der neuro-immunogenen Entzündungsreaktion durch Hemmung der a. Gliazellenaktivierung durch Cytokine, b. Bildung von entzündungsfördernden Mediatoren und c. Interaktion mit Rezeptoren,
2. Stimulierung entzündungshemmender Signalwege mithilfe von Gentherapie, durch die entzündungshemmende Gene stimuliert werden,
3. Einsatz entzündungshemmender Fettsäuren wie Resolvine, Proteine und Lipoxine (zum Beispiel aus DHA, EPA und AA), die die normale Sensitivität des Schmerzsystems durch Beeinflussung der neuro-immunogenen Kommunikation wiederherstellen können.
Darüber hinaus sollten die psychosozialen Faktoren, die zu chronischen Schmerzen beitragen, nicht außer Acht gelassen werden. Angst und (Über-) Besorgtheit können sowohl Ursache als auch Folge von chronischen Schmerzsyndromen sein. Bei Schmerzsyndromen, bei denen die oben genannten neuro-immunogenen Interventionen zu keiner oder einer nur unbefriedigenden Lösung führen, kann die Anwendung einer paradoxen Schmerztherapie eine vielversprechende Lösung bieten. Paradoxe Schmerztherapie wird auch bei sogenannten Non-Use-Syndromen wie Phantomschmerzen und Funktionsstörungen nach Schlaganfall eingesetzt, die den gleichen Ursprung haben wie chronische Schmerzen. Diese Therapie kombiniert Bewegungstherapie mit Strategien, mit denen Schmerzen von konditionierenden Faktoren wie Angst und Sorge getrennt werden sollen, mit dem Ziel, ein Verhalten zu erzeugen, das vertikal zum pathologischen Schmerzverhalten gerichtet ist. Die Kombination der Behandlung dieses psychologischen Aspekts mit der Behandlung der neuro-immunogenen Aspekte bildet das Fundament einer guten kPNI-Behandlung.
Die Ernährung spielt eine wichtige Rolle bei der Bekämpfung chronischer Schmerzen. Die tägliche Aufnahme entzündungshemmender Nahrungsmittel wie Fisch (EPA, DHA), Avocado (Omega-3-Fettsäuren), Ingwer (Gingerol), Curcuma (Curcumin), Oregano (Carvacrol), Brokkoli (Sulforaphan) und einer Vielfalt von Obst und Gemüse (indirekte Antioxidantien) kann zur Wiederherstellung beitragen. Vielleicht haben Sie es schon geahnt: Wir haben ein weiteres tolles Kochrezept für Sie (und Ihre Klienten!): Fisch mit Schokoladensauce und Salat mit Obst und Orangen-Vanille-Vinaigrette. Hoffentlich trägt die Ernährung so nicht nur zur Genesung bei, sondern hilft auch, den Schmerz für eine Weile einfach zu vergessen...
An die Arbeit! Sie finden das köstliche Rezept hier.
Literatur
Grace, P.M. et al, Pathological pain and the neuroimmune interface, Nature Reviews Immunology, February 2014
Vanderwall, A.G., Milligan, E.D., Introduction to pain and the Neuroimmune Interface, Primer of PsychoNeuroImmunology Research, 2016
Pruimboom, L., Van Dam, A.C., Chronic pain: A non-use disease, Medical Hypotheses Volume 68, Issue 3, 2007
Nagasako E.M. et al, Pain 101 (2003) 213–219