Immer mehr wissenschaftliche Studien belegen, wie wichtig eine ausgewogene Ernährung für unser Gehirn ist. Dies gilt insbesondere für die Fischfettsäuren EPA und DHA und sogenannte hirnselektive Nährstoffe wie Eisen und Iod. Wenn wir diese Nährstoffe nicht in genügenden Mengen aufnehmen, kann dies die optimale Gesundheit unseres Gehirns beeinträchtigen. Das kann zu Problemen bei der Aufmerksamkeit, der Konzentration, dem Verhalten und weiteren Problemen führen.
Vor etwa 2 Millionen Jahren erfuhren die Gehirne unserer fernen Vorfahren plötzlich einen gewaltigen Wachstumsschub. Nach Ansicht des Wissenschaftlers Stephen Cunnane fand dieser Wachstumsschub unseres Gehirns nicht in der afrikanischen Savanne statt, sondern eher in der Nähe von Seen, Flüssen und Meeren (Cunnane and Stewart, 2010). Seine These lautet, dass uns bei einem Leben in der Savanne keine ausreichenden Mengen qualitativ hochwertiger Nährstoffe zur Verfügung gestanden hätten. Das Potenzial des Gehirns zu wachsen sei zwar bereits vorhanden gewesen, aber das dann tatsächlich einsetzende rasante Wachstum habe nur in einem Land-Wasser-Ökosystem erfolgen können, da nur dort der dafür benötigte Überschuss an hirnspezifischen Nährstoffen verfügbar gewesen sei. Im entscheidenden Moment seien wir daher eher Fischer und Sammler als Jäger und Sammler gewesen.
Studien von Cunnane, Muskiet, Kuipers und anderen liefern einen guten Überblick über die Rahmenbedingungen für Gehirnwachstum:
Nach Cunnane and Stewart, 2010
Die Umgebung, die am besten diese Bedingungen erfüllt, ist das Land-Wasser-Ökosystem. Mit ausreichend Nahrung, einem stabilen Umfeld ohne natürlichen Feinde und mit wachsenden Gehirnen wird es möglich, sich neben der Sorge für das nackte Überleben auch mit anderen Dingen wie Sport und Spiel, Kreativität und Muße zu beschäftigen.
Wenn wir Cunnane hier glauben wollen, hat unsere Gehirngröße nur deswegen zugenommen, weil sie es konnte, und nicht etwa deswegen, weil eine evolutionäre Notwendigkeit dazu bestanden hätte. Erst später zeigte sich, dass die neuen Fähigkeiten Vorschritte im technologischen und kulturellen Bereich ermöglichten. Aber die mangelnde evolutionäre Notwendigkeit sorgt ebenfalls dafür, dass unser Gehirn anfällig gegenüber Entwicklungsrückstand ist, wenn die grundlegenden Anforderungen für Gehirnwachstum nicht erfüllt sind. Es stellt sich die Frage, welche dieser Bedingungen sich dann zu einem gegebenen Zeitpunkt nachteilig für uns auswirken. Genetische Veranlagung und nicht-schädliche Mutationen bleiben jedenfalls vorläufig ein Faktum unserer Biologie. Die meisten westlichen Menschen leben in einer geschützten Umgebung ohne gefährliche natürliche Feinde. Auch energiereiche Ernährung ist eher die Regel als die Ausnahme. Aber wie steht mit der ausreichenden täglichen Versorgung mit Fischfettsäuren und hirnselektiven Nährstoffen?
Omega-3-Fettsäuren sind essenziell für die Qualität der Zellmembranen unserer Körperzellen – auch im Gehirn. Je besser diese Membranen versorgt werden, desto besser können sie ihre Arbeit verrichten. Dies gilt zum Beispiel auch für die Reizverarbeitung in den Nervenzellen.
Das menschliche Gehirn benötigt für seine Arbeit dringend die essenzielle Fettsäure DHA. DHA erfüllt unter anderem eine wichtige strukturelle Aufgabe in den Zellmembranen. Ohne diese Fettsäure können sie nicht richtig funktionieren. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ein Mangel an DHA zu Beeinträchtigungen der Gehirnfunktionen führt und schädlich für die Augen ist. Eine länger anhaltende suboptimale Aufnahme von DHA (und EPA) erhöht unter anderem das Risiko für:
Es liegen immer mehr wissenschaftliche Beweise dafür vor, dass eine Erhöhung der Zufuhr von Omega-3-Fettsäuren (insbesondere DHA) das Risiko für altersbedingten kognitiven Verfall reduziert und Krankheitsprozesse, die zu einer vaskulären Demenz oder Alzheimer führen können, im Frühstadium verlangsamt.
Obwohl DHA so wichtig für die normale Funktion des menschlichen Gehirns ist, verfügt der Körper nur über eine sehr begrenzte Fähigkeit, sie selbst herzustellen. Vielleicht hat der Mensch diese Fähigkeit verloren, weil ausreichende Mengen von DHA in seinem Lebensumfeld vorhanden waren und diese Mutation daher keinen Nachteil mit sich brachte. DHA kann jedoch in begrenztem Umfang aus der Omega-3-Fettsäure Alpha-Linolensäure (ALA) gebildet werden. Alpha-Linolensäure (ALA) ist in erster Linie in Pflanzenölen enthalten, zum Beispiel aus Leinsamen, Chia, Walnüssen und Hanf. Die körpereigene Umwandlung von ALA zu DHA liefert jedoch nur so geringe Mengen, dass die externe Aufnahme von DHA als essenziell zu betrachten ist.
Savannennahrung arm an DHA
Wenn wir zu unseren evolutionären Wurzeln zurückblicken, stellen wir fest, dass das Nahrungsangebot der Savanne nur wenig DHA liefert. Es gibt dort so gut wie keine Pflanzen, die genügend Kalorien liefern und gleichzeitig als reichhaltige Quelle der für das Wachstum des Gehirns benötigten Fettsäuren in Frage kommen. Hinzu kommt, dass Pflanzen Omega 3 im Wesentlichen nur in Form der für das Gehirn schlecht verwertbaren Alpha-Linolensäure bereitstellen. Auch Fleisch enthält nur geringe und nicht besonders gut verwertbare Mengen an DHA. In höheren Konzentrationen enthielten die üblichen Beutetiere die benötigten Fettsäuren fast nur im Gehirn. Diese wurden von den Frühmenschen durchaus zusammen mit anderen Innereien verzehrt. Eine solche, nur sporadische Jagdbeute reichte jedoch in keiner Weise für eine ausreichend hohe tägliche Zufuhr aus. Im Gegensatz dazu ist die Wassernahrungskette sehr reich an DHA.
Algen, Fische, Schalentiere, Meeresfrüchte, Wasser- und Küstenpflanzen enthalten durchgängig viel DHA. Auch enthalten Eier von Vögeln, die nahe beim Wasser leben, deutlich erhöhte Mengen der Fettsäure. Das bedeutet: Wenn man am oder im Wasser lebt, ist die Zufuhr von DHA auf vielfältige Weise gesichert. Auch von den noch relativ nahe beim Wasser gelegenen Küstenbereichen aus ist DHA relativ leicht zugänglich. Vom reichhaltigen DHA-Angebot der Wassernahrungskette haben auch intelligente Meeressäugetiere wie Schwertwale und Delfine profitiert. Weiterhin stellt Nahrung, die aus dem Wasser stammt, eine der wichtigsten und am leichtesten zugänglichen Quellen für andere hirnselektive Nährstoffe wie Iod dar, das in der Savanne eher selten anzutreffen ist. Vor diesem Hintergrund ist es schwierig, sich vorzustellen, dass das spektakuläre Gehirnwachstum beim Homo sapiens in einer Umgebung wie der Savanne, die arm an hirnspezifischen Nährstoffen ist, stattgefunden haben soll.
Ein höherer Gehalt an EPA und DHA im Körper führt zu einer stärkeren Bildung von entzündungshemmenden Typ-3-Eicosanoiden. Dadurch werden die entzündungsfördernden Typ-2-Eicosanoide gehemmt, sodass die Entzündungsbelastung des Körpers insgesamt abnimmt. Außerdem wirkt sich dies positiv auf das Kreislaufsystem aus (niedrigerer Blutdruck, langsamere Blutgerinnung). Neben der Beeinflussung entzündlicher Prozesse über den Eicosanoidstoffwechsel können die Fettsäuren GLA, EPA und DHA auch direkte Wirkungen auf das Immunsystem und entzündliche Reaktionen ausüben. So zeigt sich offenbar bei Menschen, die an Autoimmunerkrankungen leiden, bei Supplementierung von EPA und DHA eine verminderte Entzündungsanfälligkeit.
Hirnselektive Nährstoffe sind Nährstoffe, die wir für eine optimale Entwicklung des Gehirns benötigen. Außer EPA und DHA sind das Iod, Zink, Selen, Kupfer und Eisen. Wenn die Nahrung zu wenige hirnselektive Nährstoffe enthält, können auf lange Sicht irreversible Hirnschäden entstehen.
Im Folgenden einige Beispiele für die Folgen, die ein Mangel an hirnselektiven Nährstoffen nach sich ziehen kann.
Ohne ausreichende Zufuhr von DHA, EPA und hirnselektiven Nährstoffen ist eine ausreichende Versorgung des Gehirns kaum vorstellbar. Und erst recht ist es völlig undenkbar, dass sich das Gehirn ohne eine stetige Versorgung mit diesen Nährstoffen beschleunigt entwickelt haben könnte.
Welche Nahrung versorgt uns am besten mit hirnselektiven Nährstoffen? Die Zahlen in der folgenden Tabelle geben an, wie viel Gramm eines Nährstoffs man zu sich nehmen muss, um den täglichen Bedarf zu decken. Die rot gekennzeichneten Mengen weisen daher auf die in der jeweiligen Kategorie am wenigsten vorhandenen Nährstoffe hin (nach Cunnane, 2005).
Wie viel Gramm eines bestimmten Nahrungsmittels werden benötigt, um dem Gehirn ausreichend hirnselektive Nährstoffe zur Verfügung zu stellen?
|
Iod |
Eisen |
Kupfer |
Zink |
Selen |
Schalen- und Krustentiere |
680 g |
800 g |
900 g |
500 g |
300 g |
Eier |
190 g |
600 g |
2.500 g |
930 g |
900 g |
Fisch |
150 g |
3.500 g |
3.100 g |
2.700 g |
660 g |
Hülsenfrüchte |
3.700 g |
370 g |
300 g |
470 g |
3.000 g |
Getreide |
3.200 g |
3.100 g |
4.800 g |
1.900 g |
2.200 g |
Fleisch |
1.500 g |
800 g |
1.700 g |
900 g |
5.000 g |
Nüsse |
1.500 g |
800 g |
900 g |
500 g |
5.500 g |
Gemüse |
4.200 g |
2.100 g |
2.700 g |
8.700 g |
6.700 g |
Obst |
6.000 g |
3.700 g |
4.800 g |
9.300 g |
6.000 g |
Milch |
6.670 g |
24.000 g |
12.500 g |
47.000 g |
5.500 g |
Aus dieser Tabelle lassen sich einige interessante Schlussfolgerungen ziehen.
Schalentiere erweisen sich als die beste Quelle von hirnselektiven Nährstoffen. Man benötigt nur maximal 900 Gramm Schalentiere pro Tag, um den gesamten Bedarf an allen fünf Nährstoffen zu decken. Das führt zur Vermutung, dass unsere Vorfahren diese Nahrungsquelle genutzt haben, als sich ihr Gehirn beschleunigt zu vergrößern begann. Seltsamerweise stuft die Stiftung Voedingscentrum Nederland Schalen- und Krustentiere allenfalls als Fischersatz ein. Überraschend ist weiterhin, dass Fisch allein nicht die Grundlage für unser spektakuläres Hirnwachstum gewesen sein kann. Der reine Verzehr von Fisch hätte zu Problemen mit Eisen (täglich 3.500 Gramm Fisch erforderlich), Kupfer (3.100 Gramm) und Zink (2.700 Gramm) geführt. Fisch ist jedoch unter anderem eine wichtige Quelle von EPA und DHA. Leider wird die für den Fischverzehr empfohlene Menge nur von 14 % der niederländischen Bevölkerung erreicht (CBS, 2015).
Auch die Kombination aus Hülsenfrüchten, Fisch und Eiern oder Schalentieren liefert der Tabelle zufolge ganz ansehnliche Mengen der benötigten Nährstoffe. Leider enthalten Hülsenfrüchte jedoch viele Phytate und Goitrogene, die die in der Nahrung enthaltenen hirnselektiven Nährstoffe, darunter Eisen und Iod, zum großen Teil unbrauchbar machen. Außerdem liefern Hülsenfrüchte keine DHA.
Getreideerzeugnisse liefern nur einen äußerst geringen Beitrag zum hirnselektiven Nährstoffstatus. Wenn man sich vorwiegend von Getreideprodukten ohne Iodzusatz ernähren würde, müsste man jeden Tag 4.800 Gramm Nahrung zu sich nehmen, um seinen Bedarf an Iod, Eisen, Kupfer, Zink und Selen zu decken. Man müsste mindestens 5,5 Liter Milch pro Tag trinken, um genügend Selen aufzunehmen. Und für ausreichend Zink sogar 47 Liter. Daher ist es kaum vorstellbar, dass Milch eine wichtige Rolle bei der Entwicklung unseres Gehirns gespielt hat. Ganz sicher waren wir nicht vorwiegend Obstesser, wie unsere nächsten Verwandten, die Schimpansen – zumindest nicht zum Zeitpunkt unseres explosiven Gehirnwachstums. Denn es wären ja fast zehn Kilogramm Obst pro Tag erforderlich gewesen, um alle fünf Mineralstoffe in ausreichender Menge aufzunehmen. Abgesehen davon bleibt Obst an sich mit seinen wertvollen natürlichen Vitaminen und Ballaststoffen natürlich nach wie vor ein wertvolles Nahrungsmittel – jedoch nicht spezifisch fürs Gehirn.
Nüsse können es im Bereich von Eisen, Kupfer und Zink mit den Schalentieren aufnehmen. Außerdem liefern sie wertvolle Fette und Proteine. Aber ganz ohne Fisch, Schalentiere oder Eier ist es schwierig, genügend Selen aufzunehmen. Für unsere heutige Ernährung ist daher eine Kombination aus Nüssen, Eiern, Fisch und Schalentieren sicher eine kluge Wahl.
Immer öfter kommen Menschen mit Aufmerksamkeits-, Konzentrations- und Verhaltensstörungen in unsere Praxis. Dieser Artikel zeigt, dass eine unzureichende Aufnahme derjenigen Nährstoffe, die im Laufe der Evolution zum Größenwachstum des Gehirns beigetragen haben, auch in der heutigen Zeit einen Risikofaktor für unser empfindliches Gehirn bedeutet. Eine auf die optimale Versorgung des Gehirns hin ausgerichtete Ernährungsintervention, gegebenenfalls unterstützt durch gezielte Supplementierung, kann hier einen wichtigen Lösungsansatz bieten.