Über die genauen Verbreitungswege des Coronavirus sind sich die Wissenschaftler nach wie vor nicht einig. Es ist klar, dass der direkte Kontakt (z. B. Küssen oder die Hand geben) und der indirekte Kontakt (z. B. über einen Türgriff oder einen Tisch) eine Rolle spielen und dass auch eine Übertragung über die Luft stattfindet. Aber wie groß die Rolle der einzelnen Wege ist, ist noch unklar. In diesem Artikel erläutern wir die Hypothese der Ausbreitung des Coronavirus über Aerosole.
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Die Übertragung über die Luft findet auf zwei verschiedene Arten statt: über relativ große Tröpfchen (die beim Ausatmen, Husten oder Niesen abgegeben werden) und über Aerosole. Aerosole sind winzige Partikel, die in der Luft schweben, viel kleiner als Tropfen. Sie sind wenige Mikrometer groß. Wenn Menschen husten oder niesen, entstehen sowohl große Tröpfchen als auch kleine Aerosole, aber auch beim lauten Sprechen oder Singen werden winzige Tröpfchen erzeugt. Im Freien zerstreuen sich die Aerosole schnell und steigen auf. Darüber hinaus hat sich kürzlich gezeigt, dass Sonnenlicht das Virus innerhalb weniger Minuten inaktiv macht. In Innenräumen mit niedriger Luftfeuchtigkeit verdunstet die Feuchtigkeit aus den Aerosolen und die Viruspartikel bleiben am längsten in der Luft. Aerosole sind Luftströmungen ausgesetzt, z. B. durch Klimaanlagen, oder - wie in Krankenhäusern - durch Ober- und Unterdrucksysteme. Fleischverarbeitungsbetriebe, die über ähnliche Systeme verfügen, haben sich in letzter Zeit als wichtige Infektionsquellen herausgestellt.
Der Großteil aller Coronavirus-Infektionen findet bei so genannten "Superspreading-Ereignissen" statt, bei denen viele Menschen auf einen Schlag infiziert werden, wie z. B. bei Gottesdiensten, Chorproben, beim Après-Ski, auf Kreuzfahrten und Marineschiffen. Ansonsten breitet sich das Virus nur langsam aus. Bei vielen dieser Veranstaltungen gab es bereits Social-Distancing-Maßnahmen, und es war unwahrscheinlich, dass eine Person allen Anwesenden nahe stand. Schlecht belüftete Bereiche wie öffentliche Verkehrsmittel und Pflegeheime haben sich trotz sozialer Social-Distancing-Maßnahmen als Infektionsquellen erwiesen.
Superspreading-Ereignisse
Die chinesischen Gesundheitsbehörden haben inzwischen erkannt, dass das Coronavirus über Aerosole übertragen werden kann, und immer mehr Wissenschaftler im Westen sind davon überzeugt. So ist der deutsche Top-Virologe Christian Drosten, Berater der deutschen Regierung, von der großen Rolle von Aerosolen bei der Virusübertragung überzeugt. Laut Drosten ist Belüftung sogar noch wichtiger als Hände waschen und desinfizieren. In den Niederlanden argumentiert u. a. Bert Blocken, Professor für Bauingenieurwesen an der Technischen Universität Eindhoven, dass Aerosole und eine schlecht funktionierende Belüftung eine wahrscheinliche Ursache für die vielen Infektionen in Pflegeheimen sind.
Belüftung
Die in der Vergangenheit bei der Influenza gefundenen Muster scheinen auch auf COVID-19 zuzutreffen. Das Virus ist gegen höhere Luftfeuchtigkeit und höhere Temperaturen nicht gut beständig, und schon gar nicht, wenn diese von Sonnenlicht begleitet werden. Es ist daher möglich, dass der derzeitige Rückgang der COVID-19-Fälle weitgehend ein natürlicher Effekt von mehr Sonnenlicht und höherer Luftfeuchtigkeit (auch in Innenräumen) im Frühjahr und Sommer und nur in begrenztem Maße eine Folge des Social Distancing ist.
Ähnliches Muster bei Influenza
Wenn diese Hypothese richtig ist, welche konkreten Maßnahmen können wir dann zusätzlich zu den Richtlinien des Gesundheitsministeriums ergreifen, um die Ausbreitung des Coronavirus zu verhindern? Und welche könnten für Sie in Ihrer Praxis relevant sein, wenn Sie Klienten treffen?
Wissen in der Praxis
* Eine gute Belüftung ist ein sehr wirksames Mittel, um die Aerosolausbreitung des Coronavirus zu verhindern. Social Distancing nützt wenig, wenn man in einem nicht belüfteten Raum steht. Die Aerosole verbreiten sich in 20 Minuten im ganzen Raum. Durch Belüftung wird die Anzahl der feinen Tropfen in der Luft schnell reduziert.
* Bei einer Luftfeuchtigkeit von mehr als 40 % nimmt die Ansteckungsfähigkeit des Virus deutlich ab. Falls erforderlich, kann die Luftfeuchtigkeit mit Luftbefeuchtern und/oder weiteren Pflanzen erhöht werden. Bestimmte Pflanzenarten sind sehr gut in der Lage, die Luftfeuchtigkeit auf 40 % bis 60 % zu erhöhen.
* Tröpfchen, die größer als ein Aerosol sind, sind jedoch nach wie vor wichtige Verbreiter des Coronavirus. Das Einhalten von Abstand hilft, eine Kontamination durch diese Tröpfchen zu verhindern. Aber angesichts des großen Einflusses des Sonnenlichts auf die Virulenz des Virus ist es wahrscheinlich viel wichtiger, drinnen Abstand zu halten als draußen.
Literatur