Molekulare Muster zwischen Biorhythmus und Immunsystem

Mittwoch 14-Oktober-2020



Jeder Organismus ist täglich wechselnden Umweltfaktoren ausgesetzt. Dies bezieht sich nicht nur auf Veränderungen während des Tages, sondern auch auf jahreszeitliche Veränderungen. Der Organismus passt sich diesen Veränderungen an, indem er sein Verhalten, seinen Stoffwechsel und die Abstimmung des Immunsystems anpasst. Der Biorhythmus (der zirkadiane Rhythmus) ermöglicht es so, diese Veränderungen zu antizipieren und beeinflusst die verschiedenen biologischen Uhren im Körper auf unterschiedliche Weise [1].


Uhrenproteine

Auch das Immunsystem steht unter der Kontrolle der zirkadianen Uhr. Dies zeigt sich daran, dass innerhalb des Immunsystems unterschiedliche zirkadiane Rhythmen zu beobachten sind. Diese Rhythmen haben ihren Ursprung in einer direkten Interaktion zwischen der zirkadianen Uhr und bestimmten Komponenten des Immunsystems.

 Eine kürzlich im Journal of Molecular Biology [2] veröffentlichte Übersicht erklärt, welche Uhrenproteine beteiligt sind und wie dadurch eine Wechselwirkung zwischen Biorhythmus und Immunsystem entsteht, die sich sogar als reziprok erweist. Immunsystem und Biorhythmus beeinflussen sich also gegenseitig.


Transkriptionsfaktoren spielen eine wichtige Rolle

Die zirkadiane Steuerung des Immunsystems funktioniert zu einem großen Teil über zirkadiane Uhrenproteine. Diese Uhrenproteine reagieren als Transkriptionsfaktoren. Sie stellen die Expression oder Nicht-Expression bestimmter Gene des Immunsystems sicher. Die wichtigsten Uhrenproteine sind BMAL1 und CLOCK.


Acetylierung und Methylierung spielen ebenfalls eine Rolle

Darüber hinaus findet eine zirkadiane Kontrolle des Immunsystems durch Acetylierung und Methylierung von Histonen statt. Beispielsweise wird die Gen-Transkription von pro-inflammatorischen Proteinen des Immunsystems reguliert. Der Körper nutzt interne Signale wie Glukokortikoidhormone und Körpertemperatur, um den zirkadianen Rhythmus in der Peripherie und damit auch im Immunsystem zu regulieren.


Sogar direkter Einfluss ohne Transkriptionsfaktoren kommt vor

Zirkadiane Uhrenproteine können auch ohne das Eingreifen von Transkriptionsfaktoren einen direkten Einfluss auf pro-inflammatorische Wege im Körper haben. Zum Beispiel durch Einflussnahme auf den NFkB. Diese Art der Interaktion zwischen dem zirkadianen Rhythmus und dem Immunsystem scheint reziprok zu sein. Das Immunsystem kann durch diese Verbindung also auch die Funktion der zirkadianen Uhr beeinflussen.


Wissen in der Praxis

Die zirkadiane Uhr wird in unserem Körper durch eine 'Hauptuhr' im Gehirn (Neuronen, die zum suprachiasmatischen Kern gehören) und durch periphere Uhren in verschiedenen Zellen des übrigen Körpers, zum Beispiel in Leukozyten des Immunsystems, reguliert. Die Hauptuhr synchronisiert die Funktion der peripheren Uhren. Hierfür wird hauptsächlich die Lichtmenge verwendet, der die Hauptuhr ausgesetzt ist. Dies ist ein wichtiges Signal, um sicherzustellen, dass der Körper im Einklang ist mit der Umgebung, in der er lebt. Für periphere Uhren ist das Essen ein wichtiger Stimulus für die Regulierung [3, 4].

 Die Wiederherstellung des Biorhythmus Ihres Patienten unterstützt somit eine bessere Funktion des Immunsystems. Als mögliche Intervention, die hierbei eingesetzt werden kann, können Sie sich die Nutzung von Tageslicht unmittelbar nach dem Aufstehen vorstellen, mit oder ohne Tageslichtlampe. In Kombination damit kann die Verwendung einer Blaulichtfilterbrille am Abend angeraten werden. Dadurch kann eine eher evolutionäre Exposition gegenüber Licht und Dunkelheit imitiert werden. Aber auch eine zeitlich begrenzte Nahrungsaufnahme, bei der nur innerhalb einer bestimmten, vom Körper mit dem Tag assoziierten Zeitspanne gegessen wird, also bei natürlichem (Tages-)Licht, ist eine mögliche Intervention.


Literatur

[1]        Mark A.Woelfle, Yan Ouyang, Kittiporn Phanvijhitsiri Carl Hirschie Johnson. The Adaptive Value of Circadian Clocks: An Experimental Assessment in Cyanobacteria. (Der Anpassungswert von zirkadianen Uhren: Eine experimentelle Bewertung in Cyanobakterien.) https://doi.org/10.1016/j.cub.2004.08.023

[2]        Sophia Hergenhan, Stephan Holtkamp, Christoph Scheiermann. Molecular Interactions Between Components of the Circadian Clock and the Immune System. (Molekulare Interaktionen zwischen Komponenten der zirkadianen Uhr und dem Immunsystem.) https://doi.org/10.1016/j.jmb.2019.12.044

[3]        K.A. Stokkan, S. Yamazaki, H. Tei, Y. Sakaki, M. Menaker. Entrainment of the circadian clock in the liver by feeding (Entrainment der zirkadianen Uhr in der Leber durch Fütterung). Science, 291 (2001), S. 490-493

[4]        F. Damiola, N. Le Minh, N. Preitner, B. Kornmann, F. Fleury-Olela, U. Schibler. Restricted feeding uncouples circadian oscillators in peripheral tissues from the central pacemaker in the suprachiasmatic nucleus (Eingeschränkte Fütterung entkoppelt zirkadiane Oszillatoren in peripheren Geweben vom zentralen Schrittmacher im suprachiasmatischen Nucleus). Genes (Gene) Dev., 14 (2000), S. 2950-2961